Tief unten, am Grunde eines Meeres, lebte einmal eine Muschel. Ihre Schalen waren dunkel wie der Grund des Meeres. Man musste sehr genau hinsehen, um die Muschel nicht zu übersehen. Die Muschel machte nichts aus sich. Sie war zufrieden, dazuliegen und zu staunen. Es gab viel zu bestaunen: dunkelgrüne Wasserpflanzen, eine große Zahl von Steinen, große, kleine, runde und kantige, verschiedenartige Fische. Am besten gefiel der Muschel, wenn Vollmond war. Dann stand der Mond als runde Scheibe über dem Wasser und das milde Mondlicht leuchtete hinab auf den Grund des Meeres bis zu unserer Muschel. Die lag dann ganz still da und schaute und nahm das Licht in sich hinein, in ihr Inneres, in ihr Herz.
Eines Tages kam ein Fisch zur Muschel geschwommen. Sieh mal an, eine Muschel, sagte der Fisch. Bald hätte ich Dich übersehen, Du kleines Muschelding. Der Fisch sprach so; er war nämlich ein sehr eingebildeter, ein sehr stolzer Fisch. Dann holte er tief Atem und schwamm vor der Muschel hin und her. So konnte man ihn von allen Seiten sehen und sein schillerndes Schuppenkleid bewundern.
Wie schön ist der Fisch, dachte die Muschel. Wie kann er sich drehen und wenden. Er ist sehr beweglich, gewandt. Es fiel der Muschel aber nicht ein, auf den Fisch neidisch zu sein. Sie war einfach einmal eine Muschel und saß am Boden des Meeres. Es gefiel ihr zu lauschen, zu schauen. Vor allem aber gefiel ihr das milde Licht des Mondes. Sie war mit sich zufrieden. Unser Fisch aber tanzte vor der Muschel im Kreise. Er schimmerte und schillerte. Er zeigte alle seine Künste. Er wollte bewundert werden. Dabei merkte er nicht, wie es sehr gefährlich wurde. Es kam nämlich ein riesiger Fisch angeschwommen, das Maul weit aufgerissen, hungrig nach Beute. Pass auf!, rief die kleine Muschel, Pass auf!.
Erschrocken fuhr der Fisch herum. Mit einem festen Schlag seiner Schwanzflosse rettete er sich in eine Felsspalte. Hier saß er nun mit klopfendem Herzen, aber nur kurze Zeit. Bald schon war alle Gefahr vergessen. Der Fisch fing an, sich wieder zu zeigen. Ja er sprang jetzt sogar in seinem Übermut aus dem Wasser heraus, hoch in die Luft. Er wollte sich im Wasserspiegel sehen. Er wollte wissen, wie schön er sei. Da die Muschel ihn aber nicht bewunderte, lobte er sich selbst und schwamm selbstgefällig davon.
Eines Nachts, als der Himmel voller Sterne hing und der Mond rund und voll leuchtete, kam der Fisch zur Muschel angeschwommen.
Unsere Muschel lag da ganz ruhig und tat, was sie so gerne tat, lauschen und schauen. Was machst Du da? fragte sie der Fisch. Ich bin still!, antwortete die Muschel. Wenn man still ist, beginnen die Dinge zu reden. Alles hat seine Sprache. Hörst Du das Wasser, die Pflanzen, die Steine? Wenn man in Ruhe ist, fängt alles zu leuchten an. Siehst Du den Himmel, die Sterne, den gelben Mond?.
Der Fisch verstand davon nichts. Dinge können nicht reden, meinte er. Was Du siehst, ist nichts besonderes. Still und ruhig sein ist langweilig. Überhaupt bist Du ein langweiliges Muscheltier. Bewegen muss man sich können, bewegen, so wie ich es kann. Verächtlich drehte er sich um und schwamm davon.
In dieser Nacht fuhr ein Fischer mit seinem Boot über das Meer. Er warf seine Netze aus. Dann wartete er in seinem Boot auf den Morgen.
Als die Sonne aufging, waren seine Netze voll und schwer. Der Fischer zog sie ins Boot. Vieles kam da ans Licht: Wasserpflanzen, Muscheln, Fische, Brauchbares und Unbrauchbares. Unter dem Fang waren auch unsere Muschel und unser Fisch.
Der Fischer begann, seine Netze zu leeren. Fisch kam zu Fisch. Bald war das halbe Boot voll Fischen. Einer lag neben dem anderen. Einer glich dem anderen. Heute noch würden sie zum Markt gebracht und verkauft werden. Der Fischer lebte schließlich von den Fischen.
Dann holte der Fischer aus dem Netz, was sich sonst noch darin befand. Als er unsere Muschel ergriff, spürte er, in ihr muss ein Schatz verborgen sein. Behutsam öffnete er sie.
Da ergriff ihn Staunen. Noch nie hatte er etwas so wunderbares gesehen. Die Innenseite der Schalen glänzten wie Silber und es fand sich in der Muschel eine Perle, kostbar, schön.

Alles was die Muschel tief unten auf dem Grund des Meeres in Stille und Ruhe gelauscht, geschaut, was sie in ihr Herz aufgenommen hatte, war zu einem Schatz geworden, zu einer edlen Perle.