Es war eine kleine alte Frau, die bei der
zusammengekauerten Gestalt am Straßenrand stehen blieb.
„So, traurig bist du“, wiederholte sie und nickte
verständnisvoll mit dem Kopf. „Magst du mir erzählen, warum du so bekümmert
bist?“ Die Traurigkeit seufzte tief auf.
Die Traurigkeit fuhr fort: „Sie haben Sätze
erfunden, an deren Schutzschild ich abprallen soll. Sie sagen „Papperlapapp -
das Leben ist heiter“, und ihr falsches Lachen macht ihnen Magengeschwüre und
Atemnot. Sie sagen: „Gelobt sei, was hart macht“, und dann
haben sie Herzschmerzen.
Oder
aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen,
damit sie mich nicht spüren müssen.“ „Oh
ja“, bestätigte die alte Frau, „solche Menschen
sind mir oft in meinem Leben begegnet. Aber eigentlich willst du ihnen
ja mit
deiner Anwesenheit helfen, nicht wahr?“ Die Traurigkeit
kroch noch ein wenig mehr in sich
zusammen. „Ja, das will ich“, sagte sie schlicht,
„aber
helfen kann ich nur, wenn die Menschen mich zulassen. Weißt
du, indem ich versuche, ihnen ein Stück Raum
zu schaffen zwischen sich und der Welt, eine Spanne Zeit, um sich
selbst zu
begegnen, will ich ihnen ein Nest bauen, in das sie sich fallen lassen
können,
um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, ist ganz
dünnhäutig und damit nahe
bei sich. Diese Begegnung kann sehr schmerzvoll sein, weil
manches Leid durch die Erinnerung wieder aufbricht wie eine schlecht
verheilte
Wunde. Aber nur,
wer den Schmerz zulässt, wer erlebtes Leid betrauern kann, wer das Kind in sich
aufspürt und all die verschluckten Tränen leerweinen lässt, wer sich Mitleid
für die inneren Verletzungen zugesteht, der, verstehst du, nur der hat die
Chance, dass seine Wunden wirklich heilen. Stattdessen schminken sie sich ein grelles Lachen
über die groben Narben. Oder verhärten sich mit einem Panzer aus
Bitterkeit.“ Jetzt schwieg die Traurigkeit, und ihr Weinen war
tief und verzweifelt. Die kleine
alte Frau nahm die zusammengekauerte Gestalt tröstend in den Arm. „Wie
weich und sanft sie sich anfühlt“,
dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde
Bündel. „Weine nur, Traurigkeit“, flüsterte
sie liebevoll,
„ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Ich
weiß, dass dich viele
Menschen ablehnen und verleugnen. Aber ich weiß auch, dass schon
einige bereit
sind für dich. Und glaube mir, es werden immer mehr, die
begreifen, dass du
ihnen Befreiung ermöglichst aus ihren inneren
Gefängnissen. Von nun an werde ich dich begleiten, damit die
Mutlosigkeit keine Macht gewinnt.“ Die Traurigkeit hatte
aufgehört zu weinen. Sie
richtete sich auf und betrachtete verwundert ihre Gefährtin. „Aber jetzt
sage mir, wer bist du eigentlich?“ „Ich“, antwortete die kleine alte Frau und lächelte
still.
„Ich bin die Hoffnung!“